Inhalt (80%)
„Der beste Film aller Zeiten“: 96 % positive Kritiken bei Rotten Tomatoes und eine 8,9er Bewertung auf der imdb – als der neue Film der „Daniels“ (Dan Kwan und Daniel Scheinert) am 28. April hierzulande in die Kinos kam, konnte der Vorab-Hype (und ich nutze dieses Wort WIRKLICH sehr ungerne) kaum größer sein. Auf einem anderen Bewertungsportal schlug er sogar den dort bis dato besten Film: Der Pate. Mittlerweile hat sich das Ganze etwas eingependelt, aber mit einer 8,2 auf der imdb steht er immerhin noch in bester Gesellschaft von Stirb Langsam oder Taxi Driver. Was haben diese beiden Regisseure, die bisher stets zusammen arbeiteten (bspw. bei der Extravaganz Swiss Army Man) hier nur erschaffen, dass es die Filmwelt so in Aufruhr versetzte?
Nun, zunächst einmal haben die Daniels seit 2016 an dem Projekt gearbeitet, das sie ursprünglich unter der Prämisse „es geht um eine Frau, die versucht, ihre Steuern zu bezahlen“ auf den Weg gebracht haben. Bereits 2010 hatten sie schon die Idee des filmisch interpretierten Multiverse entwickelt und mussten dann mit ansehen, wie Marvel und Sony eine ganze Menge ihrer Ideen in jeweils eigene Filme einbrachten. Es wuchs die Angst, dass man ihnen ihrerseits Ideenklau vorwerfen würde. Was im Übrigen Unsinn ist, da es hier um eine ganz andere Story-Grundidee geht.
Denn unabhängig davon, aus welcher Richtung man Everything Everywhere All at Once interpretieren und analysieren mag, wird jede Richtung vermutlich irgendwann mal an den Punkt kommen, dass das Chaos und die Überflutung, die uns der Film zumutet eine Metapher dafür ist, was die Gesellschaft heutzutage erlebt. Von der Informationsüberflutung bis hin zu einer gewissen Empathielosigkeit, die spätestens seit der Covid-19-Pandemie über die Welt gekommen ist. Die Daniels scheinen das Gefühls- und Informationschaos der Welt in ihrem Film zu reflektieren und halten uns gleichzeitig den Strohhalm der Empathie entgegen, den Evelyn in all der Unordnung darstellt. Evelyn begibt sich in EEAaO auf eine Reise, die sie selbst aber auch immer wieder ausbremst.
Oft hat man das Gefühl, sie wäre gerne lieber diese andere Evelyn aus dem anderen Universum – hat sie vielleicht im Laufe ihres Lebens die falschen Entscheidungen getroffen? Wäre sie lieber in China geblieben als in die USA auszuwandern? Die Tatsache, dass die Antagonistin im Film Evelyns Tochter ist, kann man zudem in eine Richtung deuten, in der es heutzutage schwierig ist, die Generationen untereinander zu vereinen. Die Internet-Generation hat jene der Eltern abgelöst, die schon Schwierigkeiten haben, eine Email zu öffnen. Aus welcher Richtung man Everything Everywhere All at Once auch interpretieren mag, filmisch gesehen ist es eine Wundertüte wie man sie lange, sehr lange nicht mehr zu sehen bekam. Und es zeigt, dass Filme noch Aufsehen erregen können, die nicht aus irgendeinem Superhelden-/Action-/SciFi-Franchise kommen; originär erdachte Stoffe, die mit Fantasie, Mut und Leidenschaft gegen das formelhafte Kino des 21. Jahrhunderts antreten.
Dass Dan und Daniel zudem ein echter Besetzungscoup gelang, gehört zu den weiteren Highlights des Films. Michelle Yeoh, Wunschkandidatin der beiden Regisseure, ist unfassbar grandios als Evelyn und Jamie Lee Curtis hat man lange nicht so entfesselt auftreten sehen. Als Beamtin der Steuerbehörde mit (vermutlich) Fatsuit unter dem senffarbenen Pullover beweist sie Mut zur Hässlichkeit und zum zickigen Verhalten. Wirklich charmant ist die Besetzung von Ke Huy Quan als Waymond – erinnert sich noch jemand an Short Round aus Indiana Jones und der Tempel des Todes? Genau DER! Was man als Zuschauer auf keinen Fall machen sollte, wenn man sich Everything Everywhere All at Once anschaut, ist unaufmerksam sein.
Zum einen, weil hier gerne mal (untertitelt) chinesisch gesprochen wird, zum anderen, weil gerade beim Wechsel zwischen den Universen so viel passiert, dass man sekündlich wichtige Dinge verpassen kann. Lässt man sich auf das Tempo, die Erzählstruktur und die völlig chaotischen Wechsel ein, bekommt man ein Feuerwerk an Dialogen, absurdeste Ideen und unglaublich witzige Kampfszenen. Wenn nach einer halben Stunde die modische Sünde der 80er/90er zur Waffe wird, bleibt sicherlich kaum ein Auge trocken – schon interessant, wozu man eine Gürteltasche einsetzen kann. Natürlich ist das immer auch haarscharf an der Grenze zum Albernen entlang – gerade, wenn’s ins Langfinger-Universum geht oder ein Anal-Plug eine tiefgehende Rolle spielt. Aber wenn die Daniels dann ein großartiges Zitat aus Kubricks 2001 einflechten, kann man ihnen absolut nicht böse für die Albernheiten sein. Böse sein könnten den Machern allerdings all jene, die ein Problem damit haben, wenn Tiere comichaft in Action eingebunden werden. So richtig zimperlich geht Everything Everywhere All at Once mit einem vierbeinigen Fellknäuel nach 75 Minuten nicht um. Hat man aber hier einen Sinn für den entsprechenden Humor kann man nur den Hut ziehen vor dermaßen vielen Absurditäten, Irrwitz und entfesselter Spielfreude sämtlicher Beteiligten. Wer sich übrigens fragt, warum hier so durcheinander in Englisch (bzw. Deutsch), Chinesisch, Kantonesisch und Mandarin gesprochen wird – Regisseur Kwan reflektiert damit seine multilinguale Kindheit als Sohn von Einwanderern aus Taipeh und Hongkong in den USA.
- Dieser Artikel hat Deutsche Sprache und Untertitel.
- Yeoh, Michelle, Curtis, Jamie Lee, Hsu, Stephanie (Schauspieler)
- Kwan, Dan (Regisseur)
- Zielgruppen-Bewertung: Freigegeben ab 16 Jahren
Bildqualität (60%)
Everything Everywhere All at Once wurde mit der ARRI Alexa Mini gedreht. Deren Chip zeichnet open gate mit 3.4K auf. Da der Film wild im Format wechselt (Besitzer von Cinemascope-Leinwänden sollten wissen, dass es neben 1,85:1 auch 4:3, 2,39:1 oder 2,00:1 gibt – und das in teils fließendem, aufzoomenden oder sich schließendem Wechsel), haben wir es mit unterschiedlichen nativen Auflösungen des jeweiligen Bildinhalts zu tun. Von 4:3, das mit 2.8K aufgenommen wird, bis zu 3.2K im Falle des hauptsächlich zu sehenden 1,85:1-Formats. Von den Mischformaten erzeugte man für den weiteren Prozess ein 4K-DI, musste also jeweils leicht hochskalieren. Natürlich sind 2.8K oder 3.4K mit anschließendem 4K-DI immer noch besser als ein 2K-DI, das für die UHD Blu-ray wieder komplett hochgerechnet werden muss. Im Verlauf des Prozesses kamen dann noch die Kontrastdynamik-Formate HDR10 und Dolby Vision sowie ein im Rahmen von Rec.2020 erweiterter Farbraum hinzu.
Doch was helfen all diese schönen technischen Voraussetzungen, wenn Leonine hier schon wieder viel zu dunkel mastert. Nimmt man sich Yeohs Haare bei 51’33, haben diese über die Blu-ray noch eine (wenn auch aufgehellte) Oberfläche. Die UHD Blu-ray zeigt hier eine schwarze und völlig strukturlose Masse. Hautfarben wirken in dieser rötlich-braunen Szenerie regelrecht verbrannt. Jede einzelne Szene, in der es halbwegs schwach ausgeleuchtet zugeht, wird über die UHD Blu-ray zum Ratespiel in Sachen Durchzeichnung. Was bei den ganz hellen Sequenzen noch für ein etwas dynamischeres Bild sorgt, lässt bereits nach, wenn man Evelyn an ihrem Schreibtisch sitzen sieht. Das mag über einen sehr leuchtstarken LCD noch gerade so in Ordnung sein. Über einen OLED wird’s zum Krampf. Da können die Farben in den gut ausgeleuchteten Momenten noch so kraftvoll strahlen und der Grünstich der Blu-ray ist auch deutlich dezenter, aber am Ende verliert diese Disk aufgrund des Mangels an Durchzeichnung / dem versumpfenden Schwarz schnell an Faszination. Und das ist unabhängig, ob man HDR10 oder Dolby Vision gewählt hat.
- Dieser Artikel hat Deutsche Sprache und Untertitel.
- Yeoh, Michelle, Curtis, Jamie Lee, Hsu, Stephanie (Schauspieler)
- Kwan, Dan (Regisseur)
- Zielgruppen-Bewertung: Freigegeben ab 16 Jahren
Tonqualität (65%)
Leonine spendierte Everything Everywhere All at Once zwei Dolby-Atmos-Spuren, die über die reguläre Ebene aber durchweg räumlicher sein könnten. Die zahllosen Musik- und Geräuscheffekte werden vornehmlich über die Fronts wiedergegeben und erhalten nur relativ leise Unterstützung von hinten. Außerdem gibt es keine wirklich griffigen direktionalen Effekte von den Rears. Ziemlich cool ist dafür der Bass-Sweep nach 19 Minuten oder auch die agil arbeitende Tiefbassunterstützung in der ersten Kampfszene nach 30 Minuten. Dazu kommen die Dialoge sehr gut verständlich aus dem Center.
Dennoch: Insgesamt ist hier einfach zu wenig Räumlichkeit vorhanden. Hören wir uns ein wenig in die Höhen-Ebene ein, so haben die Deckenlautsprecher zunächst wenig Möglichkeiten, aktiv ins Geschehen einzugreifen. Dafür bietet sich auch einfach kein Anlass. Allerdings werden Teile/Details des Scores immer wieder dort abgelegt, um kleine Akzente zu setzen. Das allerdings bleibt über die Dauer des Films dann auch so. Es gibt tatsächlich keinerlei dedizierte 3D-Sounds. Obwohl, doch. Bei 118’00 fliegen mal Blätter hörbar durch die Luft – allerdings ist das eher leise abgemischt und geht im Gesamtgeschehen unter.
- Deutsch/Englisch: Dolby Atmos (65%) 2D-Betrachtung
- Deutsch/Englisch: Dolby Atmos (20%) 3D-Betrachtung (Quantität)
- Deutsch/Englisch: Dolby Atmos (60%) 3D-Betrachtung (Qualität)
Bonus (70%)
Im Bonusmaterial finden sich neben dem absolut witzigen Audiokommentar der Daniels noch sechs Featurettes, und 13 Minuten an entfernten Szenen, Outtakes und ein Music Visual. Die Featurettes laufen bei den Charaktervorstellungen lediglich ein bis zwei Minuten. „Putting Everything on the Bagel“ geht etwas tiefer und läuft zehn Minuten. Hier kommen die beiden Regisseure auch ausgiebiger zu Wort. Noch ausführlicher geht’s im 40-minütigen „Almost Everything …“ zur Sache – Von der Idee über die Besetzung bis hin zu den Kostümen und der visuellen Gestaltung. in den VFX Breakdowns gibt’s dann szenenweise Einblicke in die Zusammensetzung der Computeranimationen. Alle Extras sind, wie bei Leonine üblich, nicht untertitelt. Das Mediabook hat außerdem noch ein 24-seitiges Booklet.
Gesamtbewertung Everything Everywhere All at Once (68%)
Everything Everywhere All at Once ist aber mal sowas von nicht jedermanns cup of tea. Hier kann’s nur heißen: Liebe es oder hasse es! Dazwischen wird’s nicht viel geben. Wer aber auch nur im Ansatz denken könnte, dass sich eine Mischung aus Doctor Strange, Matrix, Ritter der Kokosnuss und Kung Fu Hustle nicht verhält wie Feuer und Wasser oder Nordpol und Nordpol; wer außerdem Zeuge sein möchte, dass ein minutenlanger stummer Dialog zwischen Steinen brüllkomisch sein kann, der sollte unbedingt ein Auge (oder zwei oder drei) riskieren. Allerdings tut er das bei einem eher wenig hell leuchtenden TV oder Beamer besser über die Blu-ray. Die UHD-BD empfiehlt sich höchstens für Besitzer von sehr lichtstarken Panels.
- Dieser Artikel hat Deutsche Sprache und Untertitel.
- Yeoh, Michelle, Curtis, Jamie Lee, Hsu, Stephanie (Schauspieler)
- Kwan, Dan (Regisseur)
- Zielgruppen-Bewertung: Freigegeben ab 16 Jahren
Technische Details & Ausstattung:
Erscheinungstermin: | 12. August 2022 | Review am: | 21. August 2022 |
Erscheinungsjahr Film: | 2022 | Laufzeit: | 139 Minuten |
Filmstudio: | Leonine Film | FSK: | ab 16 Jahre |
Auflösung / Bildfrequenz: |
2160p @ 24p | Untertitel: |
Deutsch, Englisch |
Bildformat: |
1,33:1, 1,85:1, 2,00:1, 2,39:1 | Tonspur: |
Deutsch Dolby Atmos Englisch Dolby Atmos |
High Dynamic Range: |
HDR 10, Dolby Vision | Ausstattung: |
4K Blu-ray HD Blu-ray |
Everything Everywhere All at Once Trailer:
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Ich frage mich schon seit tron was dieser blöde formatwechselscheißs eigentlich soll.davon abgesehen stellt sich mir die Frage warum bei für streamingdienste produzierten Serien überhaupt schwarze Balken da sind ,ins Kino kommen diese Serien und Filme nicht und tv Geräte können nun mal nur 16:9 Bilder darstellen, also was soll dann der Quatsch?
Die stellen normalerweise so etwas wie einen Zeit-oder Perspektivwechsel dar, zumindest bei den Fällen, die ich kenne.
Davon mal abgesehen das Bild in 4K HDR auch bei Streamingdiensten gerne mal zu dunkel ist, liegts natürlich auch an der Wahrnehmung. Jahrelang ist der Kunde am „guten“ und viel zu hellem Bild einer herkömmlichen Blu-ray gewöhnt gewesen.
Und noch eins: Streicht doch bitte alle dieses „bester Film, beste Serie aller Zeiten“ aus eurem Wortschatz. Dieses Geschwafel geht mit inzwischen so was von auf den Wecker.
Da ist doch nichts zu dunkel, meine 4K Scheibe aus den Staaten sieht klasse aus.
Fehlt dem Testequipment die notwendige Peak-Brightness?
Du solltest nie den Fehler machen zwei Disc-Veröffentlichungen unterschiedlicher Vertriebe gleichzusetzen. Deine Disc aus den Staaten ist von Lionsgate, die in DE von Leonine. In Kanada gibt es im Übrigen nochmal eine andere Fassung und in anderen Ländern vermutlich viele weitere. Die Vertriebe greifen zwar meistens auf dasselbe Quellmaterial zurück, hampeln dann damit aber eigenständig rum – was erhebliche Unterschiede zur Folge haben kann, auch bei der Kompression oder eben Farbdarstellung, Kontrast, Helligkeit, etc.
Manchmal sind die dt. Fassungen schlechter, manchmal besser als die in anderen Ländern, das hängt sehr vom Einzelfall ab. Ein gutes Negativbeispiel für eine verhunzte Version wäre etwa die dt. 4K UHD zu „Drive“, ebenfalls von Leonine. Da hat man dem Bild einen gehörigen Gelbstich verpasst. Die später erschienene 4K-Disc aus UK wurde vom Regisseur überwacht und zeigt ein deutlich (!) besseres Bild.
Ja bei der Drive UHD kann ich dir nur recht geben.. da fragt man sich wirklich, wer da für die Farben verantwortlich war.
Vielleicht hol ich mir auch die 4K Disc aus UK..
Das ist ja das interessante, jeder Mensch kann ja Farben anders wahrnehmen. Oder ein Firmware-Update verstellt irgendwas an den Farben des Referenzmonitors usw. Solche Probleme treten sicherlich dann auf, wenn aus Kostengründen keine 4-Augen-Kontrolle durchgeführt wird.
Die UK-Disc zu „Drive“ kann ich sehr empfehlen! Ich hatte mir damals leider blind das dt. Mediabook gekauft, da ich naiverweise aufgrund der zeitlichen Nähe zum UK-Release annahm, man würde die gleiche Vorlage nutzen :-/. Später bin ich zur UK-Fassung gewechselt und nicht nur die Farbwiedergabe auch die Kompression ist deutlich besser. Generell ist jene Version eine echt runde Sache und trotz des 2K-Masters (der Film wurde so gedreht, da kann man nicht viel dran machen) hat auch die Schärfe zumindest minimal zugenommen.
Genau, das Review hab ich mir bereits auf Blu-ray.com angeschaut und liest sich ja eigentlich äußerst positiv. Und dann war ich bei der deutschen Version so enttäuscht.
Vielen Dank nochmal für deine Empfehlung!
Wenn die Discs bei verschiedenen Firmen herauskommen, hat man oft diese Unterschiede im Master.
Darum kommt das bei independent Filmen oft vor, aber selten bei Studio-Filmen.
Das war mir tatsächlich nicht bewusst. Da mir als gebürtiger Amerikaner deutscher Ton vollkommen egal ist, importiere ich fast alles aus UK oder den USA.
Ich hab einmal den Fehler gemacht, die deutsche VÖ von Sherlock zu kaufen und danach nie wieder.
Jedes eingeblendete Wort wurde übersetzt, egal ob Sherlocks Gedanken oder Nachrichten auf dem Smartphone.
Und das geht einfach gar nicht.
Ja, das habe ich auch erlebt. Habe dann die deutschen Discs verkauft und mir britische oder amerikanische zugelegt.
Die Us-UHD hat ein Helleres Bild. Bei der DE Fassung hat man mist beim Kontrast gemacht